Ich war als Kind und Jugendliche oft an der Nordsee und habe sie lieben gelernt. Besonders lebendig in Erinnerung geblieben sind mir die Ausflüge auf Krabbenkutter, bei denen ich mit Begeisterung Krabben gepuhlt habe. Oder das Sammeln von Muscheln am Strand – die ich leider regelmäßig vergessen habe abzuspülen, was im Nachhinein geruchstechnisch weniger schön war. 😅 Dieses Buch hat diese Erinnerungen geweckt und meine Sehnsucht nach der Nordsee wieder angefacht.
Zum Buch
Zur See erzählt von einer Familie auf einer Nordseeinsel, die zwischen Tradition und Veränderung, zwischen Pflichtgefühl und dem Wunsch nach Freiheit lebt. Dörte Hansen zeichnet ein eindrucksvolles Bild einer Welt, die sich langsam wandelt – und von Menschen, die ihren Platz darin suchen.
Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.
Pengiun Verlag
Figuren
Die Figuren haben mich sofort überzeugt. Sie wirken authentisch, lebendig und vielschichtig. Ihre Gedanken, ihre inneren Konflikte und ihre Verbindung zur Insel sind so greifbar beschrieben, dass man sie fast vor sich sieht.
Sprache
Die Sprache von Dörte Hansen ist klar, feinfühlig und atmosphärisch dicht. Jede Seite ist ein Genuss – ruhig, aber eindringlich. Sie schafft es, mit wenigen Worten Stimmungen und Bilder entstehen zu lassen, die lange nachwirken.
Fazit
Zur See ist eines meiner absoluten Highlights dieses Jahres. Ein Buch voller Melancholie, Sehnsucht und leiser Schönheit. Es hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt und wird mich sicher noch lange begleiten.
Autorin
Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, arbeitete nach ihrem Studium der Linguistik zunächst als Redakteurin beim NDR und war als Autorin für Hörfunk und Print tätig. Ihr Debütroman Altes Land wurde 2015 zum „Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels“ gewählt und stand auf Platz eins der SPIEGEL-Jahresbestsellerliste. 2018 folgte Mittagsstunde, das ebenfalls ein SPIEGEL-Jahresbestseller wurde und unter anderem mit dem Rheingau Literatur Preis und dem Grimmelshausen Literaturpreis ausgezeichnet wurde. 2022 erschien ihr dritter Roman Zur See. Dörte Hansen lebt mit ihrer Familie in Nordfriesland und war 2022 Mainzer Stadtschreiberin.